Von Jamshed Baruah
Wien (IDN) – Österreich wird im Dezember die nächste internationale Konferenz über die humanitären Folgen von Atomwaffen ausrichten. Das Parlament des Nicht-NATO-Staates hat die rechtlichen Grundlagen geschaffen, um die Bemühungen der österreichischen Regierung für eine atomwaffenfreie Welt zu unterstützen.
Die Zusammenkunft vom 7. bis 8. Dezember ist die dritte seit März 2013. Die erste hatte der damalige norwegische Außenminister Espen Barth Eide einberufen und damit eine Plattform für eine fakten- und facettenreiche Diskussion über die menschlichen und entwicklungspolitischen Folgen eines potenziellen Atomwaffeneinsatzes geschaffen.
Vertreter von 127 Ländern und UN-Organisationen, der internationalen Rot-Kreuz-Bewegung, der Zivilgesellschaft und anderer relevanter Akteure hatten sich zu der Tagung eingefunden. Wie Eide damals erklärte, drückt die Bandbreite der Teilnehmer “die zunehmende globale Sorge über die Auswirkungen atomarer Detonationen” aus.
An der zweiten Konferenz, die im Februar im mexikanischen Nayarit stattfand, nahmen Delegierte aus 146 Staaten sowie Repräsentanten der Vereinten Nationen, des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, der Rot-Kreuz- und der Roter-Halbmond-Bewegung sowie zivilgesellschaftlicher Organisationen statt, um über die globalen und langfristigen Folgen einer atomaren Sprengung – ob absichtlich oder unabsichtlich herbeigeführt – zu diskutieren. Thematisiert wurden die möglichen Folgen für die öffentliche Gesundheit, humanitäre Hilfe, Wirtschaft, Entwicklung, Ernährungssicherheit, Umwelt, das Klima und das Risikomanagement “aus Sicht der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts”.
Der mexikanische Konferenzvorsitzende würdigte das österreichische Angebot, die dritte Konferenz über die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen auszurichten, als allseits begrüßenswerte Initiative. Er wies darauf hin, dass in der Vergangenheit Waffen nach einem Waffenverbot vernichtet worden seien. “Wir sind der Meinung, dass dies der richtige Weg ist, um eine atomwaffenfreie Welt zu schaffen. Unserer Meinung nach entspricht dies dem internationalen Recht inklusive der Bestimmungen, die sich aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) ableiten lassen, sowie Artikel 1 der Genfer Konventionen.”
Damoklesschwert
Neuen Forschungsergebnissen zufolge hätte allein schon ein begrenzter regionaler Atomwaffenkonflikt verheerende globale Auswirkungen auf die Gesundheit, Ernährungssicherheit, Wirtschaft, Sozialordnung und das Klima, die die unmittelbaren humanitären Folgen bei weitem überschreiten. “Es ist Zeit, aktiv zu werden”, lautete der Tenor in Nayarit. Auch wies man darauf hin, dass es 2014 genau 70 Jahre her ist, dass Hiroshima und Nagasaki als die die bislang ersten und einzigen Opfer von Atombombenschlägen getroffen wurden.
Im Juli sagte der österreichische Nationalrat der Wiener Konferenz seine volle Unterstützung zu. Eingebracht hatten den Antrag Christine Muttonen, Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) und Ratsmitglied des Parlamentarischen Netzwerks für Nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung (PNND), sowie Reinhold Lopatka, Obmann des Parlamentsklubs der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) im Nationalrat.
In dem Beschluss wird die österreichische Bundesregierung aufgefordert, sich weiterhin auf internationaler und europäischer Ebene für atomare Abrüstung und ein komplettes Verbot der Entwicklung, Beschaffung, Verbreitung, des Verkaufs und des Besitzes von Atomwaffen im Sinne des internationalen Rechts einzusetzen. Außerdem beauftragten die Abgeordneten die Regierung, sich für atomwaffenfreie Zonen insbesondere im Nahen und Mittleren Osten und ein wirksames EU-Verbot von Massenvernichtungswaffen in Krisenregionen zu engagieren.
Darüber hinaus verfügt die österreichische Regierung nun über das offizielle Parlamentsmandat, sich gegen die NATO-Doktrin der nuklearen Abschreckung auszusprechen, sich mit Blick auf die Krise in der Ukraine jedem militärischen Einsatz zu widersetzen, der eine Ausweitung der Doktrin der nuklearen Abschreckung bedeuten würde, sowie jede Androhung von Atomwaffengewalt entschieden zu verurteilen.
Außerdem ist die österreichische Regierung aufgerufen, sich für eine Stärkung und gegebenenfalls die Einrichtung nichtmilitärischer zwischenstaatlicher Organisationen für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und anderswo zu verwenden und sich für ein Verbot oder zumindest eine strikte Regulierung von europäischen Nukleartechnologieexporten starkzumachen.
Mit ihrem Bekenntnis zu atomarer Abrüstung des österreichischen Nationalrats stärkt das Parlament die Position des österreichischen Außenministers Sebastian Kurz, der in Nayarit erklärt hatte, dass die Gefahr von Atomwaffen keineswegs abstrakt sei. “Sie ist ein Damoklesschwert über unseren Köpfen und muss ebenso wie die beträchtlichen Risiken durch Irrtümer, Unfälle oder Terrorismus im Zentrum der Bemühungen der internationalen Staatengemeinschaft stehen. Ein überholtes Sicherheitsverständnis, das auf der Androhung der totalen Zerstörung des Planeten basiert, darf im 21. Jahrhundert keinen Platz mehr haben.”
Kurz erklärte weiter: “Gerade in Europa ist diese Diskussion besonders notwendig. Das Denken des Kalten Krieges ist in den Sicherheitsdoktrinen leider noch nicht überwunden. Vor 100 Jahren begann mit dem 1. Weltkrieg und dem verheerenden Einsatz von Chemiewaffen das Zeitalter der Massenvernichtungswaffen. Als heute geeintes Europa sollten gerade wir das Gedenken auch dazu nutzen, um Kernwaffen, das gefährlichste Erbe des 20. Jahrhunderts, hinter uns zu lassen.”
Wien als Tagungsort gut gewählt
Bedeutend ist die bevorstehende Konferenz auch deshalb, weil Wien Sitz der einzigen globalen Organisationen ist, die mit Nuklearfragen befasst sind: der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) und der Organisation für den umfassenden nuklearen Teststopp (CTBTO). Ihnen kommt eine entscheidende Rolle zu, die Ausbreitung von Atomwaffen zu verhindern.
Trotz der Verringerung der Zahl der Atomwaffen seit Ende des Kalten Krieges reichen die verbliebenen Atomwaffen aus, um die gesamte Menschheit auszurotten. Gleichzeitig hat die Zahl der Atomwaffenstaaten zugenommen, während die Hürden, diese Massenvernichtungswaffen zu bauen, niedriger geworden sind. Deshalb vertritt Österreich die Auffassung, dass sich der Einsatz von Atomwaffen nur in Verbindung mit einer glaubwürdigen und irreversiblen nuklearen Abrüstung und der internationalen Ächtung von Atomwaffen verhindern lässt.
Wie bereits in Oslo und Nayarit betont wurde, wären im Fall einer Atomexplosion Regierung und Hilfsorganisationen gar nicht in der Lage, die humanitäre Hilfe zu leisten, die angesichts einer solchen Katastrophe erforderlich wäre, hieß es in einer im Februar 2014 veröffentlichten Pressemitteilung des österreichischen Außenministeriums.
Obwohl eine atomwaffenfreie Welt in Interesse der gesamten Menschheit erstrebenswert wäre, ist man vom Ziel noch weit entfernt. Fast 25 Jahre seit Ende des Kalten Krieges wird die Zahl der verbliebenen Atomwaffen auf insgesamt 16.300 geschätzt, die sich auf neun Länder verteilen. Dabei handelt es sich um die derzeit fünf im Atomwaffensperrvertrag (NPT) anerkannten Atomwaffenstaaten, die gleichzeitig die fünf ständigen Mitglieder des für Frieden und Sicherheit zuständigen UN-Sicherheitsrats (P5) – USA, Großbritannien, Frankreich, China und Russland – sind, sowie die vier inoffiziellen Atomstaaten Israel, Indien, Nordkorea und Pakistan.
Die Detonation einer einzigen modernen Atomwaffe würde mehr Zerstörung und Leid hervorrufen, als die Bombenanschläge auf Hiroshima und Nagasaki 1945 zusammengenommen. Deshalb ist der erhöhte Fokus auf die Folgen, die Atomwaffen für die Menschheit haben können, eine wichtige Entwicklung und ein entscheidender Beitrag für die internationale Diskussion über die Massenvernichtungswaffen. Je mehr sich die internationale Gemeinschaft der Risiken bewusst wird, umso höher wird die Dringlichkeit, eine atomwaffenfreie Welt zu erreichen.
Mit der Ausrichtung der bevorstehenden Tagung in Wien will Österreich einen Beitrag dazu leisten, das Bewusstsein für die verheerenden Gefahren von Atomwaffen schärfen. Dem Außenministerium zufolge wird die Wiener Konferenz allen interessierten Parteien offenstehen. Sämtliche Staaten sind offiziell eingeladen, Experten oder Regierungsbeamten zu benennen. Internationale Organisationen seien ebenfalls willkommen. Durch faktenreiche Diskussionen und Expertenvorträge sollen die Weichen für einen interaktiven Dialog zwischen den Tagungsteilnehmern ermöglicht werden. Derzeit arbeitet man zudem an Plänen, Vertretern der ärmsten Länder die Teilnahme an der Konferenz mit Hilfe eines Sponsorenprogramms zu ermöglichen. [Deutsche Bearbeitung | Karina Böckmann | IPS Deutscher Dienst 8. September 2014]